Schonmal was von einem digitalen Zwilling gehört?
Ein digitaler Zwilling ist ein exaktes, digitales Ebenbild eines realen Ortes oder Objekts. Auf diesem Prinzip werden seit einigen Jahren schon sehr interessante Usecases für die Industrie entwickelt.
Eine besonders spannende Lösung kommt dabei von der ipolog GmbH, die am Standort Neu-Ulm unter dem Namen SyncTwin ihre Lösung entwickelt: ein digitaler Zwilling für Produktionsprozesse. Oder anders gesagt: ein Manufactoring Metaverse.
Dafür wird mit der Unreal Engine ein exaktes digitales Abbild z.B. einer Produktionshalle erzeugt, durch das sich der Nutzer in Egoperspektive bewegen kann. Dabei wird viel Wert auf eine hohe Detailtiefe gelegt: jeder Lagerort von jedem Werkzeug und jedem Gerät ist genau erfasst.
Das ermöglicht einem Mitarbeiter zum Beispiel virtuell durch die Produktionshalle zu gehen und Optimierungspotential zu entdecken. Ihm fällt vielleicht auf, dass ein bestimmtes Gerät an einer anderen Stelle besser eingesetzt wäre, weil dies die Laufwege für Mitarbeiter verkürzt. Vielleicht sieht er an einem bestimmten Platz auch Bedarf für ein weiteres Regal. Dann erstellt er an der gewünschten Stelle einen Vermerk, inklusive der Spezifikationen des Regals (wie hoch, wieviele Fächer, etc). Diese Anforderungen werden von einem Designer oder eine Designerin im zweiten Schritt grafisch umgesetzt und in die virtuelle Welt eingefügt. Die gesammelten Verbesserungen können danach an das Unternehmen zurückgemeldet werden, das die Änderungen in der realen Produktion umsetzt und von der Optimierungen profitiert.
In Zusammenarbeit mit Nvidia hat Ipolog hier bereits einen äußerst prominenten Kunden: die BMW AG. Grund genug CTO und Mitgründer Michael Wagner einmal zum Gespräch einzuladen!
Michael, du bist in deiner Karriere ja bereits ein bisschen herumgekommen. Unter anderem warst du bei der NASA. Wie kam es dazu? Und wie hat es dich dann nach Ulm verschlagen?
Ich hatte 1999 das Glück im Rahmen meiner Diplomarbeit an der Virtual Reality Umgebung der damaligen Mars Mission mitzuarbeiten. Schon damals hat man einen digitalen Zwilling des Mars-Roboters benutzt, um dessen Aktivitäten zu planen – eine direkte Steuerung ist unmöglich, weil ein Befehl bis zu 20 Minuten braucht, bis er dort ankommt. Den Kontakt hatte damals ein Kollege von der Daimler Forschung hergestellt, die damals noch in Ulm auf dem Eselsberg angesiedelt war.
Dort habe ich im Virtual Reality Competence Center als Student mitgeholfen eine der ersten PC basierten VR-Raum-Installationen (CAVE) aufzubauen. Der Roboter ist dann leider bei der Landung abgestürzt und ich habe das Angebot von Daimler angenommen weiter an verteilten virtuellen Umgebungen und der damals neuen Technologie Augmented Reality (AR) zu arbeiten. Zuerst war ich dort angestellt, danach dann selbständig mit meiner ersten Firma. Wir hatten interessante Projekte im Manufacturing Umfeld vom digitalen Werker-Training bis zur Simulation und virtuellen Inbetriebnahme von Laserschweißrobotern, bis 2009 die Wirtschaftskrise kam und kurzfristig alle Aufträge wegbrachen. Das war eine harte Zeit!
Aber jede Krise ist auch eine Chance. In der Zeit habe ich meine ipolog Mitgründer getroffen, die mit ihrem Ingenieurbüro damals mithalfen, das neue Mercedes Werk in Amerika zu planen und die erste Version von ipolog als CAD Makro entwickelt haben um schneller auf die täglichen Planänderungen reagieren zu können. Wir haben das Tool dann stetig weiterentwickelt und konnten unter anderem Mercedes überzeugen ipolog als Planungswerkzeug im Konzern einzusetzen.
Seitdem haben wir neben unserer Zentrale in Leonberg einen Entwicklungsstandort in Ulm, zunächst in der Ulmer Innenstadt, nachdem wir weiter gewachsen sind im Industriegebiet in Neu-Ulm.
Mit BMW habt ihr ja einen sehr großen Kunden gewonnen. Wie kam es dazu?
Wir haben unsere Wurzeln in der Automobilindustrie und kennen die Nöte der Produktions- und Logistikplaner ziemlich gut. BMW hat eine Lösung zur Planung ihrer Produktionslogistik gesucht und wir konnten sie mit unserem ipolog 4 Materialflow, das wir in Kooperation mit dem Automobilzulieferer MAGNA entwickelt haben, nach einem ausführlichen Auswahlprozess überzeugen.
BMW ist ein toller Partner, weil wir in diesem Umfeld sehr komplexe Anforderungen an die Logistik und Materialbereitstellung zu lösen haben. Man muss sich vorstellen, dass ein Auto aus etwa 4000 Teilen zusammengesetzt wird. Die müssen alle zur richtigen Zeit am richtigen Ort für den jeweiligen Werker oder Roboter bereitgestellt werden. Ein mittleres Fahrzeugwerk produziert ca. 1500 Autos am Tag, was dazu führt, dass pro Tag ca. 160.000 Aufträge für den Transport von Material entstehen, die alle geplant und am besten optimal ausgeführt werden müssen. Eine Fabrik ist ein lebendiges System wo sich immer etwas ändert. Aktuell zum Beispiel durch die verstärkte Produktion von Elektrofahrzeugen oder Lieferengpässe. Darum muss auch immer die Planung entsprechend kontinuierlich geändert werden und dabei hilft unsere Software.
Das gute daran ist, dass wenn wir die Herausforderungen für BMW und seine weltweit verteilten Produktionsstandorte lösen können dann sind wir auch für unsere Kunden mit weniger komplexen Umgebungen gut aufgestellt.
Auf der GTC, der Entwicklerkonferenz von Nvidia, hattest du Gelegenheit von eurer Arbeit zu erzählen. Wie waren die Reaktionen darauf?
Das ist ein spannendes Thema.
Unser Kunde BMW arbeitet mit NVIDIA gerade daran, einen durchgängigen Digitalen Zwilling ihrer Produktion abzubilden. Das ist bei 31 Werken in 15 Ländern und 12.000 Zulieferern in 70 Ländern eine Mammutaufgabe. NVIDIA hat für solche komplexen Anwendungsfälle die Omniverse Plattform geschaffen, eine Art Google Docs für 3D. Sie soll den Aufbau von virtuellen 3D Szenarien im globalen Maßstab ermöglichen. Die zugrundeliegende Technologie kommt aus Hollywood – 3D Animationspionier Pixar (Toy Story) hat das USD Format entwickelt, um die komplexen virtuellen Welten seiner Filme für weltweit verteilte Teams beherrschbar zu machen.
In diesem Artikel könnt ihr nachlesen, was die größere Vision des Omniverse ist.
Wir haben als Early Adopter einen der ersten Omniverse-Konnektoren gebaut, der Logistik- und Bereitstellszenarien in diesen ganzheitlichen Digitalen Zwilling integrieren kann. Dabei nutzen wir die besonderen Eigenschaften des USD Formats, das es allen Beteiligten ermöglicht ihre jeweilige Facette des ganzheitlichen Digitalen Zwillings beizusteuern und auf Ergebnisse der anderen aufzusetzen.
Bei unserem GTC Vortrag (on Demand HIER verfügbar) haben wir gezeigt, wie ein Team aus weltweit verteilten Fabrikplanern aus unterschiedlichen Organisationen mithilfe von NVIDIA Omniverse und unseren Werkzeugen ohne die üblichen Reibungsverluste zusammenarbeiten können.
Unsere Vision dabei ist es, das Manufacturing Metaverse zu schaffen: Synchronisierte Digitale Zwillinge, die es ermöglichen perfekte Produkte ohne Verschwendung herzustellen: nachhaltig und ganzheitlich über den gesamten Produktlebenszyklus und über Wertschöpfungsketten hinweg.
Die Reaktionen waren vor allem begeistert, ich kann aber auch die Skeptiker verstehen, die den weiten Weg dorthin als sehr steil ansehen. Zurzeit existieren noch viele „Datensilos“, die durch solche Ansätze eingerissen werden würden und darin liegt natürlich auch disruptives Potential für manch existierendes Geschäftsmodell.
Was war der letzte große Milestone, den ihr erreicht habt und wie geht es in den nächsten 1-2 Jahren für euch weiter?
Es war ein toller Erfolg, dass wir BMW als weiteren Partner gewinnen konnten, der unsere Software konzernweit einsetzt und aktuell weltweit ausrollt.
In den kommenden Jahren werden wir weiter ipolog als führende Lösung für Materialbereitstellung und Produktionslogistik in der produzierenden Industrie verbreiten. Zudem haben wir mit der SyncTwin GmbH in Neu-Ulm einen Spin-Off gegründet, die den SyncTwin Digital Twin Viewer einem breiteren Anwenderkreis zugänglich machen soll und unsere Omniverse Aktivtäten bündelt.
Die virtuelle Welt ist zwischenzeitlich ein normaler Teil unserer Gesellschaft. Wie siehst du persönlich ihre Zukunft?
Die Corona Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass wir die virtuelle Welt intensiv nutzen können, um effizienter zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren. Sie hat mich persönlich aber auch gelehrt den persönlichen Kontakt und Austausch mehr zu schätzen, der jetzt so langsam wieder möglich wird.
Ich denke, dass in Zukunft Realität und virtuelle Welten weiter ineinandergreifen und die Grenzen dazwischen verschwimmen werden. Die aktuellen Herausforderungen wie Alternative Fakten, Filterblasen und Hass-Nachrichten werden dadurch nicht geringer werden. Sie sind nur von einer Gesellschaft digital mündiger Bürger zu meistern, die sich ihres Verstandes bedienen; egal ob in der realen oder virtuellen Welt oder dazwischen.
Und zum Schluss: welches Restaurant steht bei dir aktuell ganz weit oben im Kurs?
Ich schätze den Adler in Neu-Ulm Ludwigsfeld und die Kochkünste von Küchenchef Jens Roth, der seine norddeutschen Wurzeln unter anderem mit selbstgeräuchertem Fisch einbringt und mit seiner modern interpretierten gutbürgerlichen Küche immer einen Besuch wert ist.